Anne Tardos


Essays

 

Mehrsprachiges Schreiben als Beispiel

Ein Interview fuer die Schule fuer Dichtung in Verbindung mit der Internet-Klasse von Anne Tardos: "SeptemberDichtung WorldSprache" September 1999


Warum "als Beispiel"?


Man schreibt, was man denkt, und wenn man etwas geschrieben hat, denkt man weiter darueber nach und entwickelt die Gedanken. Dann schreibt man spaeter wieder etwas und entwickelt die Sache noch weiter. So geht das dann eigentlich in amuesanter Weise hin und her.

Warum "als Beispiel"? Weil ich auf keinen Fall vorschlagen will, dass die Student/Innen mehrsprachig schreiben sollen, ausser sie denken mehrsprachig. "Als Beispiel" bezieht sich darauf, dass ich (aber nicht nur ich) mehrsprachig schreibe, weil ich dafuer einen Grund habe. Natuerlich schreibe ich auch in einer einzelnen Sprache, meistens auf Englisch, und ausserdem verwende ich Neologismen, die oft scheinbar nichts bedeuten oder so tun als ob, oder zufaelligerweise doch eine ganz bestimmte Bedeutung haben in irgendeiner Sprache, vielleicht Bantu oder Baskisch oder Birmanisch.

Was ist der "Grund" fuer das mehrsprachige Schreiben?


Ganz einfach erklaert: Ich bin in Frankreich geboren und teilweise dort aufgewachsen, teilweise in Ungarn und teilweise in Oesterreich. Als Erwachsene bin nach New York gezogen, wo ich noch heute wohne. Die Reihenfolge, in der ich diese Sprachen gelernt habe, waren also Franzoesisch, Ungarisch, Deutsch und schliesslich Englisch. Ich kenne diese Sprachen alle ziemlich gleich gut (oder gleich schlecht). Am meisten bin ich im Englischen zu Hause, weil ich in New York am meisten zu Hause bin.

Ein anderer Grund kann sein, dass ich diese Sprachen in den jeweiligen Laendern erlernte und damit auch die jeweilige Kultur mit der Sprache zusammen absorbiert habe. Es ist aber klar, dass man zur Dichtung keinen besonderen Grund braucht. Es genuegt, eine Sprache zu kennen und etwas schreiben zu wollen. Es waere also schade, wenn meine Student/Innen sich dazu zwingen wuerden, mehrsprachig zu schreiben, ohne wirklich zu wollen.


Haben die verschiedenen Kulturen einen unvermeidbaren Einfluss auf dein Schreiben und Denken gehabt?


Mein Buch, Cat Licked the Garlic, faengt mit einem zweisaetzigen Gedicht an:

"I was brainwashed as a child. There was no other way."
(Als Kind wurde ich einer Gehirnwäsche unterzogen. Es ging nicht anders.)

Das passiert uns allen, natuerlich. Es geht wirklich nicht anders. Spaeter bemuehen wir uns dann unsere eigene, persoenliche Realitaet zu gestalten, unsere eigene Meinungen zu formen, eine eigene Welt zu schaffen, die wir mit aehnlich denkenden Freunden und Bekannten teilen. Aber am Anfang haben wir keinen anderen Bezug, als den unsere Umwelt uns bietet. Wuerden wir keiner Gehirnwáesche unterzogen, koennten wir einfach nicht in unserem Urlebenskreis funktionieren.

Das Phaenomen der kulturellen Einfluesse einer Sprache war fuer mich schon immer ein aeusserst faszinierendes Thema. Wie zum Beispiel eine Sprache das Benehmen aendern kann. Man gestikuliert anders, man steht anders da, man sieht anders aus. Ich habe bemerkt, zum Beispiel, dass meine Stimme um einiges hoeher wird, wenn ich Franzoesisch spreche als wenn ich Deutsch spreche. Vielleicht treffe ich ganz andere Entscheidungen, davon abhaengig, welche Sprache ich zur Zeit spreche. Es koennte sein, dass ich auf Englisch ein grosszuegigerer Mensch bin, oder dass ich auf Deutsch ruhiger bin. Auch durchaus moeglich, dass ich auf Franzoesisch mehr reizbar werde oder auf Ungarisch etwas trauriger, oder auch umgekehrt. Das sind alles kulturell-sprachliche, bei mir unvermeidbare und daher unkontrollierbare, Assoziationen.


Findest du, dass dein mehrsprachiges Schreiben dich einer inneren Wahrheit" naeher-bringt?


Wenn ich die Sprachen, die ich kenne, frei vermische, kann ich an einer mysterioesen und persoenlichen Wahrheit herankommen. Eine Wahrheit, die oft tief verborgen liegt und nur durch die Erfindung einer "privaten" Sprache entdeckt werden kann, einer Sprache, die auch aus mehreren Sprachen zusammengestellt sein kann, eine die anders klingt, anders aussieht, anders geschrieben und auch ausgesprochen wird.

Das Schreiben also als Musikkomposition. Die Sprache als Musik. Gut geht das mehrsprachige Schreiben bei mir, wenn ich im Moment des Schreibens mir nicht einmal bewusst bin, in welcher Sprache ich mich eben befinde. Oder man koennte sagen, ich kuemmere mich nicht darum die Sprache zu identifizieren. Im gleichen Sinne kuemmere ich mich oft auch nicht um der Bedeutung der Worte. Das kommt dann spaeter beim Lesen des Textes. Beim Redigieren kann man noch allerhand erledigen.


Im Titel zu deiner Klasse kommt das Wort "WorldSprache" vor. Wie erklaerst du dieses Wort?


"WorldSprache" ist eine aeusserst einfache, fast primitive Idee. Die einfachste und durchsichtigste Kombination zweier Sprachen. Ich wollte etwas sehr leicht Verstaendliches im Klassentitel haben, das auch etwas ueber der Erfindung im Dichten aussagt. Man darf also Woerter kreieren, was auf Deutsch besonders gut geht. Das Wort WorldSprache erinnert mich auch an ein Gedicht, das ich vor einigen Jahren schrieb ueber den sogenannten Ursprung der Sprache:

"Some of them restent en anglais.

Some of them then die wenigen petit pois go jouer. Them then die vielen grossen allati nagy Imre. Sway this way, petit pois des bois.<

Then, je partition my own (mon) petit cheval, c'est egal, go. Play Go. Go and play Noh. Playdough. Whoa.

This way and ainsi our ancestors formed ce qu'on appelle die Sprache."

Von Cat Licked the Garlic (Vancouver, B.C.: Tsunami Editions, 1992.)

"Our ancestors formed ce qu'on appelle die Sprache", wenn man das ausspricht, spuert man den Rhythmus, hoert man die Musik in dem Satz. Als Dichter sind wir auch Komponisten.

In ihrem Vortrag "A Blur of Languages?" schreibt Professor Caroline Bergvall von Dartington College in Devon, England, 1998, unter anderem:

Cross-lingual thematic games as well as cross-lingual homophonic condensations organise the main part of the associative realm of [Tardos's] "Play Go. Go and play Noh. Playdough. Whoa" material, and are made to construct a highly personal, untranslatable and irreducible environment.


Siehst du deine Texte als untranslatably unuebersetzbar?


Eigentlich im Gegenteil. Prof. Bergvall beschrieb die Werke sicher nicht buchstaeblich als unuebersetzbar, da die Assoziationen ja selbst Uebersetzungsassoziationen sind. Alles wird ununterbrochen hin und zurueck uebersetzt und so entstehen die Gedichte eigentlich. Das obere Gedicht stammt aus 1991, als ich noch keine Fussnoten mit Uebersetzungen und Transliterationen hatte. Heutzutage fuege ich beides zu.

In ihrem Vorwort zu meinem neuen Buch UXUDO, schreibt wieder Bergvall:

" . . . each node, pivot, moment of switch from one language to another jolts and ties differentiality to the thorny question of cultural origination and linguistic diversity. As a textual mode or genre, plurilingual writing is openly predicated on the structuring of particularised cultural exchanges and on playing out the linguistic flexibilities of polyglots and cultural migrants. Indeed, the link between literary strategy and cultural belonging, between language acquisition and textual disposition, between the private and the public, the emotive, mundane and the artifactual, aestheticised experience of cultural idioms, is by definition at the heart of such textuality and provides the text with its conceptual as well as more personal motifs."


Was, glauben Sie, kann das Dichten fuer das Individuum durchsetzen?


Warum schreibt man ueberhaupt? Man schreibt, um etwas zu verstehen. Zu entdecken. Zu entwickeln. Man schreibt, weil der Gedankenprozess allein intellektuell nicht befriedigend ist. Zum Beispiel wenn du dich an einen Namen nicht erinnern kannst und es zerfetzt dich, und dann wendest du dich an jemanden und fragst—in dem Moment, wo du die Frage stellst, weisst du schon die Antwort. Durch das Aussprechen der Frage wurde der urspruengliche Gedanke in ein anderes Hirnzentrum umgesiedelt. Wahrscheinlich einfach vom Denkzentrum zum Sprachzentrum. Mit dieser Kommunikation hat man etwas erregt und die Antwort faellt uns ein, aus einer Art Irritation, wird eine sogenannte Intelligenz, auf jeden Fall Information, erweckt und herausgekitzelt. Herausirritiert koennte man fast sagen. Es ist, als ob wir aus verschiedenen, eigentlich ziemlich bloeden und faulen Menschen zusammengesetzt waeren. Zusammengenommen aber koennen wir schon was. Also das Sprachzentrum zusammen mit dem Gedankenzentrum und dem Tanzzentrum u.a. kann schon allerhand.

Aehnlich ist das mit der gleichzeitigen Anwendung verschiedener Sprachen und so geht das auch mit der Anwendung der verschiedenen Medien. Zum Beispiel studierte ich bildende Kuenste, durch viele Jahre malte und machte ich Filme und Videos. Heute arbeite ich am Computer, aber sehr oft kombiniere ich digitalisierte Rasterbilder mit meinen Texten. Das ist auch eine Form der Kommunikation zwischen den verschiedenen Ich's. Es kommen neue Sachen dabei heraus.

Bei mehrsprachigem Schreiben entdecke ich oft ueberraschende und tief verborgene Gedanken. Wenn ich dann auch noch ein Bild mit dem Gedicht kombiniere, finde ich oft, dass ich den Text auch wieder aendern will. Das Bild aendert oft den Charakter der Seite. Ein Bild kann einen Text aendern und natuerlich auch umgekehrt.

Hier ist ein Beispiel von Uxudo, mein neues Buch, in dem fast alle Stuecke zweiseitig sind. In diesem Fall text only aber andere Beispiele mit Bild sind auf meiner homepage zu sehen.

[Auf der rechten Seite steht das original Gedicht]:

Lorraine hug-a-bee hiaba
Wanderwunderbare Ewigkeitstaetigkeit
Rancostanc.
Objet securise de griffonade.
Daedalus pagination rictus kivan.
Ivan was terrible.

Who am I really?

Raeubertraeume follitude.

Uxudo.

[und auf der linken Seite das andere Gedicht, das aus Uebersetzungen und Transliterationen besteht]:

hiaba [hee-ah-buw] = to no avail = vergebens = inutilement

Ewigkeitstaetigkeit = occupation-eternity

Rancostanc = [ron-tsosh-tahnts] = wrinkly dance = Knittertanz = danse-ridee

griffonade = griffonade = griffonade = griffonade

(griffonage = scribbling [Gekritzel])

(griffon = a kind of dog, or a griffin, the mythological half eagle half lion.)

rictus = Sperrweite

kivan = [key-vahn] = wishes / wuenscht / desire

 

Raeubertraeume [roy-bur-troy-mu] = robber-dreams = rêves-voleur

follitude = follitude = follitude = follitude = follitude

 

uxudo = uxudo = uxudo = uxudo = uxudo = uxudo

von Uxudo, Tuumba Press/O Books: Berkeley/Oakland, 1999

Da sieht man auch, wie ich die Neologismen behandle. "Follitude" uebersetze ich nicht, aber ich erklaere "Raeubertraeume", obwohl es genau so viel oder wenig bedeutet wie das Wort "follitude" (eine einzigartige Form von folly).

Es ist klar, dass es sich hier um ganz persoenliche Gedanken handelt, Woerter, die waehrend eines akustischen Spiels erfunden wurden. Die Bedeutung, der Inhalt dieser Texte wurde erst nach dem Schreiben ueberhaupt betrachtet. Erklaerungen kamen erst spaeter. Aufgefallen ist mir, dass waehrend des Schreibens eine tief persoenliche und immer noch unerklaerbare Wahrheit (Sprachform) beruehrt wurde, ohne bestimmten sprachlichen Ueberlegungen.

So gehe ich vor, aber das bedeutet auf keinen Fall, dass jeder so vorgehen soll. Jeder geht so vor wie er vorgeht. Das einzige, was ich von meinen Student/Innen erwarte ist, dass sie tief greifen und auf die Musik ihres Textes aufpassen und dabei etwas Interessantes, vielleicht Unerwartetes (er)finden.


Mit Mehrsprachigkeit als blosses Beispiel, was schlaegst du also deinen Student/Innen vor? Wie sollen sie denn schreiben?


Ich moechte gerne, dass sie durch die Dichtung etwas ueber sich selbst entdecken, etwas was sie nicht wussten. Schoen waere es, wenn sie noch dazu etwas von ihrer Umwelt erfahren wuerden. Meine eigene Beziehung zur Sprache hat ihre Wurzeln in meiner persoenlichen Geschichte, sowie in meinen musikalischen Tendenzen. Aber die Beziehung zur Sprache eines Studenten koennte etwa auf dem Vokabular seiner Arbeit basiert sein. Nehmen wir an, dass ein Student Zeitungsredakteur oder Schaffner oder Hausfrau ist. Seine Beziehung zur Sprache und Schreiben koennte etwas mit seinem Beruf zu tun haben. Warum nicht? Ich schlage nicht vor, dass sie von ihrer Arbeit schreiben sollen, obwohl sie das auch tun koennen wenn sie wollen, (und viele tun es sehr gut) aber ich meine, dass es eigentlich sinnvoll waere, fuer jemanden das Vokabular seines Berufs beim Dichten zu verwerten.


Soll also die Hausfrau das Vokabular der Hausarbeit in ihrer Dichtung verwenden?


Sie koennte, was sie im Geschaeft oder am Fernsehen sieht, anwenden oder auch nicht. Aber es waere doch sinnvoll, nichtwahr, das aufzugreifen was uns umgibt, ob es sich in unserem inneren oder aeusseren Milieu befindet.


Befindet sich also der Einkaufszettel in der aeusseren Umgebung und die persoenliche Geschichte in der inneren?


Es ist nicht wichtig festzustellen, wer was sieht und womit. Wir sehen alles mit unseren eigenen Augen. Wir haben nicht nur eine (innere) persoenliche Geschichte sondern auch ein inneres Gespraech, das ununterbrochen stattfindet. Ein Geschwaetz eigentlich, das Tag und Nacht in unserem Kopf herumsummt. Wenn wir meditieren, versuchen wir genau dieses Summen abzustellen. Dieses Gespraech basiert natuerlich auf unserer persoenlichen Geschichte, basiert nicht nur, sondern ist ein innewohnender Teil der laufenden Entwicklung unseres Lebens, unseres Charakters, unserer Persoenlichkeit. Wenn man richtig zuhoert, merkt man, dass dieses Gerede nicht immer syntaktisch ist, nicht immer unbedingt in einer bestimmten Sprache ist, sondern besteht manchmal aus abstrakten Toenen, einzelnen Silben, alles Moegliche. Heute frueh, zum Beispiel, bin ich mit dem Wort "Kche!" aufgewacht. Das ist, was ich unter persoenlicher Geschichte verstehe. Das ist das Einzigartige an uns allen und das ist in der Kunst, was tatsaechlich verfolgens- und entdeckenswert ist.


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